Vorbericht
Im November 2014 rief uns ein Mäster an und berichtete, dass bei den etwa 70 kg schweren Mastschweinen plötzliche Todesfälle und vermehrt Tiere mit neurologischen Störungen auftraten. Zu dem Zeitpunkt waren bereits drei Tiere verendet. Die Symptome in der Mastgruppe umfassten nach Aussage des Mästers Ataxien und allgemeine Schwäche.
Der Betrieb
Mastschweine des Betriebs |
Der Betrieb liegt in einer Gegend mit niedriger Schweinedichte im Südwesten der Bretagne (Frankreich). An dem Standort erfolgt die Aufzucht und Mast von Ferkeln aus einem neu aufgebauten Sauenbetrieb mit hohem Gesundheits- und Hygienestatus. Die ersten Ferkel wurden im Juni 2014 geliefert.
Alle 7 Wochen erfolgt eine neue Lieferung mit etwa drei Wochen alten, gerade abgesetzten Ferkeln.
Es stehen 400 Aufzuchtplätze und 800 Mastplätze zur Verfügung.
Derzeit sind nur Ferkel von Jungsauen oder primiparen Sauen eingestallt.
Der Betriebsleiter setzt Maßnahmen zur externen und internen Biosicherheit konsequent um. Vor der Ankunft einer neuen Partie werden die Abteile gründlich gereinigt und anschließend desinfiziert. Zusätzlich wird eine Leerstehphase von sechs Wochen eingehalten.
Der Gesundheitsstatus der Sauenherde ist folgender:
- PRRSV: negativ
- Actinobacillus pleuropneumoniae: negativ gegenüber allen Serotypen
- Aujeszkysche Krankheit: negativ
- Mycoplasma hyopneumoniae: negativ
- SIV (H1N1, H1N2 und H3N2): negativ
- PCV2: Impfung seit Neugründung des Betriebs
Im August 2014 wurde ein Monitoring hinsichtlich PRRS und Mycoplasma hyopneumoniae durchgeführt. Dazu wurden von zehn Ferkeln etwa acht Wochen nach Ankunft Blutproben gezogen und auf beide Erreger serologisch untersucht. Alle Untersuchungen verliefen negativ.
Deshalb wurde auch keine Impfung eingeführt.
Fütterungssystem:
Die Aufzuchtferkel werden mit kommerziell erhältlichem Ferkelfutter von einem Futtermittelhersteller gefüttert.
Die Mastschweine erhalten Flüssigfutter am Längstrog. Die Hauptfutterkomponenten Mais und Weizen stammen vom hofeigenen Anbau. Die übrigen Komponenten werden zugekauft.
In der Aufzucht steht den Ferkeln Wasser über Nippeltränken zur Verfügung, in der Mast dagegen nur im Flüssigfutter. Die Fütterung erfolgt dort dreimal am Tag.
Klinische Untersuchung (1):
Im November 2014 wurden drei Tiere, die plötzlich verendet waren, seziert. Andere Tiere aus derselben Gruppe zeigten zu diesem Zeitpunkt Ataxien und allgemeine Schwäche. Die makroskopischen Befunde aus der Sektion der drei Tiere sind in Tabelle 1 aufgeführt.
Tierkörper außen | Brustkorb | Bauchhöhle | |
Schwein 1 | keine Auffälligkeiten | Herzinsuffizienz | Blut im Dünndarm, Schleimhautrötung, vergrößerte Mesenterial- und Inguinallymphknoten |
Schwein 2 | Fibrinablagerungen | Vergrößerte Mesenterial- und Inguinallymphknoten; flüssiger, hell-brauner Kot | |
Schwein 3 | Perikarditis, Pleuritis | Vergrößerte Mesenterial- und Inguinallymphknoten; flüssiger, hell-brauner Kot |
Tabelle 1: Zusammenfassung der Befunde aus den ersten Sektionen
Ausgehend von den makroskopischen Läsionen wurde eine Septikämie durch eine Salmonellen-Infektion vermutet. Die klinischen Symptome deckten sich mit der Hypothese.
Tote Schweine für die Sektion bei der ersten Bestandsuntersuchung
Mesenteriale Lymphknoten und Darminhalt aus dem Colon wurden von jedem Tier an ein Untersuchungslabor geschickt, um die Hypothese zu bestätigen.
Die Laboruntersuchungen lieferten folgende, für uns unerwartete Ergebnisse:
- E. coli O139K82 wurde in den Lymphknoten und im Darminhalt nachgewiesen.
- In den E. coli Isolaten konnten die Virulenzfaktoren Stx2e und F18 nachgewiesen werden.
- Die Untersuchungen auf Salmonella spp. verliefen negativ.
Aus den Laborbefunden leiteten wir die Diagnose "Ödemkrankheit" (Colienterotoxämie) ab, was für die untersuchte Altersgruppe eher untypisch ist.
Nach den durchgeführten Resistenztests waren alle gewöhnlichen Antibiotika wirksam gegen diesen E. coli.
Klinische Untersuchung (2): erneuter Ausbruch klinischer Symptome
Für die gesamte Mastgruppe wurde ein 24-stündiger Futterentzug angeordnet, anschließend wurden die Tiere fünf Tage mit Colistin (100.000 UI pro kg pro Tag) über die Flüssigfütterung behandelt.
Die Behandlung schien in der ersten Woche zunächst wirksam zu sein, allerdings traten zwei Wochen später erneut Todesfälle auf: Acht 80-kg Schweine verendeten plötzlich oder zeigten zuvor Meningitissymptome.
Nach Aussagen des Mästers zeigten die Tiere kaum oder nur leichte klinische Symptome. Während unserer zweiten Bestandsuntersuchung wurden keine Anzeichen einer Atemwegs- oder Darmerkrankung beobachtet. Allerdings war die Mastgruppe sehr heterogen, einige Schweine hatten Ohrrandnekrosen und ein Tier zeigte Symptome des Porcine Dermatitis and Nephropathy Syndrome (PDNS).
Die Verluste konzentrierten sich auf zwei Futterventile in zwei verschiedenen Räumen. Außerdem zeigten drei Schweine Ataxien in den betroffenen Buchten.
Sektion und Probenentnahme von einem Tier bei der zweiten Bestandsuntersuchung
Die 80-kg Schweine wurden ebenfalls seziert: Dabei konnten vergleichbare makroskopische Veränderungen wie vor zwei Wochen beobachtet werden.
Bei allen sezierten Tieren fielen erneut vergrößerte Lymphknoten (sowohl mesenteriale als auch inguinale) auf. Ein Tier zeigte zudem ein Lungenödem.
Auch von diesen Tieren schickten wir Proben an ein Untersuchungslabor und erhielten dieselben Ergebnisse zurück: E. coli O139K82 mit den Virulenzfaktoren Stx2e und F18. Das Antibiogramm zeigte dieselbe Sensitivität gegenüber Antibiotika.
Es schien so, als sei die Ödemkrankheit erneut ausgebrochen. Das ist umso erstaunlicher, weil Futterentzug und Colistinbehandlung normalerweise sehr effektiv bei der Bekämpfung dieser Krankheit sind.
Klinische Untersuchung (3): Suche nach auslösenden Faktoren
Aufgrund der Besonderheit dieses Falles suchten wir nach Anhaltspunkten, die zu einem Ausbruch der Ödemkrankheit zu diesem späten Mastzeitpunkt geführt haben könnten:
- Coinfektionen mit anderen Erregern, vor allem welche mit immunsuppressiver Wirkung
- Lüftungsprobleme
- Hygienestatus des Trinkwassers
- Futterzusammensetzung
1. Coinfektionen mit anderen Erregern
Aufgrund der beobachteten Veränderungen bei der zweiten Bestandsuntersuchung und den klinischen Begleitsymptomen (Heterogenität, Ohrrandnekrosen, PDNS) vermuteten wir eine PCV2 Beteiligung.
Deshalb wurden PCR-Untersuchungen an folgenden Materialien eingeleitet:
- Lymphknoten von den Schweinen der letzten Sektionen
- Serumproben von 15 Tieren aus der betroffenen Gruppe, zu fünft gepoolt
Alle Untersuchungen verliefen negativ. Da bei den Sektionen kein Formalin vorhanden war, konnten keine Proben für eventuelle histologische Untersuchungen zurückgestellt werden.
Auf PRRSV, Influenzavirus, Actinobacillus pleuropneumoniae und Mycoplasma hyopneumoniae wurde nicht untersucht, da sowohl vor als auch während des Ausbruchs der Ödemkrankheit keine Anzeichen auf Erkrankungen mit diesen Erregern bestanden.
2. Lüftungsprobleme
Lüftungsprobleme schloss der Mäster aus, da er weder das System noch die Lüftungseinstellungen verändert habe. Allerdings traten bereits in den vorherigen Mastdurchgängen Fälle von Kannibalismus auf. Außerdem konnten gelegentlich zu niedrige Luftraten (hohe Ammoniakgehalte) bemerkt werden.
3. Hygienestatus des Trinkwassers
Nach dem zweiten Ausbruch der Ödemkrankheit wurden bakteriologische Untersuchungen eingeleitet. Dazu wurde eine Wasserprobe am Ende des Wasserkreislaufes gezogen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 dargestellt.
Untersuchungsparameter | Probe | Normwert* |
Gesamtgehalt coliformer Bakterien | 0 g/ml | 0 |
Fäkale coliforme Bakterien (E. coli) | 0 g/ml | 0 |
Fäkal Streptococcus spp. | 0 g/ml | 0 |
Sulfitreduzierende anaerobe Bakterien | 0 g/ml | 0 |
Gesamtkeimzahl (22°C) | 0 /ml | < 100 |
Gesamtkeimzahl (37°C) | 0 /ml | < 10 |
*Trinkwassernorm für Menschen
Anhand der Ergebnisse der Probe wurde das Trinkwasser für die Tiere als geeignet bewertet.
4. Futterzusammensetzung
Das Futter besteht aus folgenden Komponenten:
- 50% Mais
- 20% Weizen
- 30% Ergänzungsfutter von einem Futtermittelhersteller
Eine Untersuchung des Mais auf Mykotoxine wurde eingeleitet. Um Kosten zu sparen, wurde nur der Gehalt von DON (Vomitoxin) bestimmt (ELISA-Verfahren). Der Gehalt betrug 196 ppb. Tabelle 3 listet noch weitere Parameter bezogen auf die Untersuchung des Mais auf.
Rohprodukt | Trockenprodukt | |
Feuchtegehalt | 37,4 % | |
Trockensubstanz | 62,6 % | |
Gesamtstickstoffgehalt | 5,2 % | 8,3 % |
Stärkegehalt | 44,7 % | 71,5 % |
Dem Futter wurde außerdem noch Kochsalz (NaCl) zugesetzt. Die Schweine wurden dreimal am Tag mit Flüssigfutter bestehend aus einer Mischung aus 2,7 kg Futter und 2,8 Liter Wasser gefüttert. Das bedeutet, jedes Schwein erhält etwa 7,6 Liter Wasser pro Tag, was für ein über 80 kg schweres Schwein zu wenig sein könnte (Empfehlung Wasserversorgung von 10% des Lebendgewichts [Massabie P, 2001], siehe auch Tabelle 4). Eine Unterversorgung mit Wasser könnte besonders dann eintreten, wenn dem Futter zusätzlich noch NaCl zugesetzt wird.
Alter | Gewicht | Futterverbrauch | Wasseraufnahme |
70 d | 30 kg | 1,5 kg | 4,23 L |
90 d | 42 kg | 2 kg | 5,64 L |
110 d | 55 kg | 2,55 kg | 7,19 L |
130 d | 75 kg | 2,6 kg | 7,33 L |
150 d | 80 kg | 2,65 kg | 7,47 L |
170 d | 100 kg | 2,7 kg | 7,61 L |
Nach dem zweiten Ausbruch der Ödemkrankheit entschied der Mäster den Zusatz von Säuren zur Azidierung des Mageninhalts zu erhöhen (5kg/t Futter). Außerdem konnten wir ihn dazu bewegen, auf einen weiteren NaCl-Zusatz zu verzichten.
Dadurch hat sich die Situation abgesehen von einer kleinen Wachstumsdepression deutlich verbessert: keine Verluste und keine zentralnervösen Ausfälle mehr. Nach Aussagen des Mästers traten in der folgenden Mastgruppe keine vergleichbaren klinischen Symptome auf.
Diskussion
Die Colienterotoxämie (Ödemkrankheit) tritt häufig in französischen Schweinebeständen auf. Meistens sind Ferkel nach dem Absetzen betroffen [Moxley RA, 2000], manchmal aber auch Tiere in der Vormast [Fairbrothers JM et al]. Allerdings wurde noch kein Fall von Ödemkrankheit bei Mastschweinen über 70-80 kg in französischen Beständen beobachtet und auch in der internationalen Literatur lassen sich keine Hinweise finden.
Da mehrere Maßnahmen zur gleichen Zeit durchgeführt wurden (mehr Zusatz von Säure, Verzicht auf NaCl-Supplementierung), konnten auslösende Faktoren nicht sicher identifiziert werden. Dennoch glauben wir, dass die restriktive Wasserversorgung und die zusätzlich erhöhte Zufuhr von NaCl zum Ausbruch geführt haben könnten.
Lüftungsfehler wurden zwar nicht untersucht, dennoch könnte eine Störung im Luftstrom eine Rolle bei der Krankheitsentwicklung gespielt haben.