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Klinischer Fall: Erythema multiforme und Atemwegsprobleme bei Sauen in Gruppenhaltung

Bei den meisten Zuchtsauen (90%) wurde ein Erythema multiforme (EM) zusammen mit Atemwegsproblemen ohne Verluste beobachtet.

Bestandsdaten

Der vorliegende Fall ereignete sich bei einem kommerziellen Ferkelerzeuger mit 650 produzierenden Sauen (Large White x Landrasse) in Griechenland. Neben den Hybridsauen wurden außerdem 35 Großelterntiere für die Produktion der F1-Jungsauen gehalten. Nach dem Absetzen blieben die Sauen für 30-35 Tage in Kastenständen im Deckzentrum. Dort erfolgte eine zweimalige künstliche Besamung (KB) mit Frischsperma von jeweils einem Eber. Danach wurden die Tiere in die Gruppenhaltung umgestallt (10 Sauen/Gruppe). Tabelle 1 gibt einen Überblick über das durchgeführte Impfschema des Bestandes. Die Sauen wurden 14 Tage vor der Abferkelung und die Eber zweimal im Jahr mit Ivermectin antiparasitär behandelt.       

Der Bestand ist PRRSV serologisch positiv. Vor etwa einem Jahr brach PRRS im Zuchtbestand, in der Aufzucht und in der Mast aus [PCR positive Zuchttiere (30%), Absetzer (90%) und Läuferschweine/Mastschweine (35%)].

 

Tabelle 1. Impfschema für Zuchttiere und Ferkel

Impfung gegen Schema
Jungsauen
Virus der Aujeszky’schen Krankheit (AK) 90. + 120. Lebenstag
Parvovirus + Rotlauf 150. + 180. Lebenstag
Rhinitis atrophicans 150. + 180. Lebenstag
PRRSV 180. + 210. Lebenstag
Escherichia coli + Clostridium perfringens 160. + 190. Lebenstag
Sauen
Virus der Aujeszky’schen Krankheit (AK) 4 Wochen vor der Abferkelung
Parvovirus + Rotlauf 2 Wochen nach der Abferkelung
Rhinitis atrophicans 3 Wochen vor der Abferkelung
PRRSV 60. Trächtigkeitstag + 6. Säugetag
Escherichia coli + Clostridium perfringens 2 Wochen vor der Abferkelung
Eber
Virus der Aujeszky’schen Krankheit (AK) 3 mal pro Jahr
Parvovirus + Rotlauf 3 mal pro Jahr
Rhinitis atrophicans 3 mal pro Jahr
Ferkel
Mycoplasma hyopneumoniae 7. + 21. Lebenstag
Porzines Circovirus Typ 2 (PCV2) beim Absetzen
 

 

Der klinische Fall

Bei sehr vielen Zuchtsauen (90%) trat ein Erythema multiforme (EM) zusammen mit Atemwegsproblemen ohne Verluste auf. Zwischen Januar 2014 und unserer Bestandsuntersuchung im Mai 2014 entwickelten die Sauen EM, sobald sie in die Gruppenhaltung im Wartebereich (ca. 30.-35. Trächtigkeitstag) umgestallt wurden. Das EM äußerte sich in Form von rötlich veränderten, leicht erhabenen Hautbereichen am gesamten Körper, vor allem aber am Hals, im Gesicht und um die Augen und Ohren (Abbildungen 1-3). Klinisch äußerte sich die Erkrankung bei den Sauen in Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Fieber (40-41,5°C) für 1-3 Tage, abnormale Haltung und Atemwegsprobleme (mittelgradige Dyspnoe, Augen- und Nasenausfluss vermengt mit Schleim und Blut, Abbildungen 4-5). Die genannten Symptome traten allerdings nicht bei den säugenden Sauen oder bei den noch nicht belegten Jungsauen im Eingliederungstall auf. Im Wartebereich mit Gruppenhaltung blieben die Symptome dagegen über mehrere Wochen bei der Mehrzahl der Tiere (~ 90 %). Des Weiteren rauschten etwa 10-15% der belegten Sauen und Jungsauen kurz nach der Umstallung in die Gruppenhaltung um (Tabelle 2).

Tabelle 2. Reproduktionsdaten Sauenbestand 2014

Reproduktionsparameter Monat
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Abferkelrate (%) 72 68,7 71,4 73,8 74,9 78,1 77,3 67,4 76,3 85,0 92,5 94,2
Aborte (%) 1,9 2,2 2,4 2,1 2,0 1,8 1,6 1,5 1,1 0,5 0,4 0,2
Umrauschen (%) 26,0 29,0 26,0 24,0 23,0 20,0 21,0 31,0 22,5 14,4 7,0 5,5
Leere Sauen (%) 0,1 0,1 0,2 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1
Lebend geborene Ferkel/Sau 13,2 13,2 13,1 13,2 13,2 13,1 13,3 13,1 13,2 12,9 13,1 13,1
Abgesetzte Ferkel/Sau 10,7 10,9 10,8 10,8 10,9 11,0 11,1 11,1 11,2 11,4 11,6 11,8

Erkrankte Sauen in Gruppenhaltung mit EM in Form von rötlich veränderten, leicht erhabenen Hautbereichen am gesamten Körper.

Erkrankte Sauen in Gruppenhaltung mit EM in Form von rötlich veränderten, leicht erhabenen Hautbereichen am gesamten Körper.

Abbildungen 1-2. Erkrankte Sauen in Gruppenhaltung mit EM in Form von rötlich veränderten, leicht erhabenen Hautbereichen am gesamten Körper.

Erkrankte Sauen in Gruppenhaltung mit EM in Form von rötlich veränderten, leicht erhabenen Hautbereichen am Hals und im Gesicht.

Abbildung 3. Erkrankte Sauen in Gruppenhaltung mit EM in Form von rötlich veränderten, leicht erhabenen Hautbereichen am Hals und im Gesicht (besonders um die Augen und Ohren).

Erkrankte Sauen mit EM zeigten Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Fieber, Atemwegsprobleme und Augen- und Nasenausfluss mit Schleim- und Blutbeimengungen.

Abbildungen 4-5. Erkrankte Sauen mit EM zeigten Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Fieber, Atemwegsprobleme und Augen- und Nasenausfluss mit Schleim- und Blutbeimengungen.

 

Probenentnahme und Laboruntersuchungen

Im Mai 2014 wurden 7 Blutproben und 4 Tupferproben jeweils von der Nasen- und Vaginalschleimhaut von erkrankten Sauen genommen (ca. 30-45 Trächtigkeitstag, verschiedene Wurfnummern von 1-5). Zusätzlich wurden im August 2014 erneut 7 Nasentupfer von erkrankten Sauen genommen.

Die Serumproben wurden wie folgt untersucht: a) real-time PCR auf PRRSV (Typ 1, EU und Typ 2, US) und auf PCV2. b) ELISA auf Antikörper gegen Actinobacillus pleuropneumoniae (App), Erysipelothrix rhusiopathiae (Ery), PRRSV, Virus der AK gE, Virus der Afrikanischen Schweinepest (ASP), Virus der klassischen Schweinepest (KSP) und Leptospira spp. Die Nasentupfer wurden mittels PCR auf das apx-IV Gen von App, Bordetella bronchiseptica, Haemophius parasuis, Pasteurella multocida, Streptococcus suis, Porcine Cytomegalovirus (PCMV) und Influenza-A-Virus (IAV, H1N1, H3N2, H1N2) untersucht.

Zusätzlich wurden 2 Blutproben von erkrankten Sauen unter aseptischen Bedingungen für eine kulturelle Blutuntersuchung gezogen. Außerdem wurden auch hämatologische und biochemische Untersuchungen an den Blutproben durchgeführt. Am Schlachthof wurden dann noch Proben von 7 erkrankten Sauen (Haut, Leber, Niere, Lunge) für die makroskopische und histologische Untersuchung genommen. 

Zu guter letzt wurde noch das Futter für die Sauen im Warte- und im Abferkelbereich auf Mykotoxine [Aflatoxine (B1, B2, G1, G2), Deoxynivalenol (DΟN), Acetyldeoxynivalenol (Acetyl-DΟN), Nivalenol, Zearalenon (ΖEΝ)] mittels HPLC Methode (Varian 9010 & 9050) untersucht.

 

Laborergebnisse

Die Ergebnisse der ELISA- und PCR-Untersuchungen der Blutproben sind in Tabelle 3 dargestellt. Alle Sauen waren serologisch positiv auf App und PRRSV, aber negativ auf ASP, KSP, AK und Leptospira spp. Außerdem konnte keine Virämie mit PRRSV oder PCV2 nachgewiesen werden. Die Ergebnisse zu den Untersuchungen der Nasentupfer sind in Tabelle 4 zusammengefasst. B. bronchiseptica, P. multocida und PCMV wurden in keiner Probe nachgewiesen. S. suis wurde in allen Proben nachgewiesen, eine Probe (Nr. 11) war positiv auf App, H. parasuis und S. suis. Eine Probe von Mai 2014 war positiv auf IAV.

 

Tabelle 3. Ergebnisse der Serumuntersuchungen von sieben Sauen mit Hautveränderungen und Atemwegsproblemen.

Erreger Test Anzahl positiver Tiere / Anzahl getesteter Tiere
Mai 2014 August 2014
Actinobacillus pleuropneumoniae APX-IV ELISA 7/7 4/7
Erysipelothrix rhusiopathiae ELISA 0/7 0/7
ASP-Virus ELISA 0/7 0/7
KSP-Virus ELISA 0/7 0/7
PCV2 qPCR 0/7 0/7
PRRSV* ELISA 7/7 7/7
PRRSV Genotyp 1 (EU) PCR 0/7 0/7
PRRSV Genotyp 2 (US) PCR 0/7 0/7
AK Virus gE ELISA** 0/7 0/7
Leptospira spp. ELISA 0/7 0/7

*PRRSV Antikörper-ELISA Ergebnisse: < 0,4 negativ; 0,4-0,99 positiv 1; 1,0-1,49 positiv 2; 1,5-1,99 positiv 3; 2,0-2,49 positiv 4; 2,5-2,99 positiv 5; ≥ 3,0 positiv 6
** positiv: infiziert mit Feldvirus (Antikörper gegen AK gE) - negativ: nicht infiziert mit Feldvirus (keine Antikörper gegen AK gE).
***L. Pomona, L. tarassovi, L. canicola, L. grippothyphosa, L. Bratislava: alle Proben < 1:100

 

Tabelle 4. Ergebnisse der PCR Untersuchungen der Nasentupfer von erkrankten Sauen.

Anzahl positiver Tiere / Anzahl getesteter Tiere Erreger
App B. bronchiseptica H. parasuis P. multocida PCMV S. suis IAV
Mai 2014 1/4 0/4 1/4 0/4 0/4 4/4 1/4 (H1N1)
August 2014 1/7 0/7 6/7 0/7 0/7 7/7 0/7
 

Die Untersuchung der Vaginaltupfer ergab den Nachweis von E. coli und Streptococcus spp. in allen Proben. Streptococcus spp. und Actinobacillus spp. wurden in der kulturellen Untersuchung des Blutes isoliert. Im Antibiogramm waren diese Erreger sensibel gegenüber Penicillin, Ampicillin und Amoxycillin + Clavulansäure.

Die hämatologische und biochemische Untersuchung ergab eine mittelgradige Leukozytose mit atypischen Lymphozyten und Lymphopenie (möglicherwiese sekundär durch Depletion der CD4 Lymphozyten), geringradige Anämie und Thrombozytopenie in einem Fall. In zwei weiteren Fällen wurden über 3000/μL Eosinophile gezählt. Ein hochgradiger Anstieg der weißen Blutkörperchen in zwei Fällen passte zur Infektion. Die histopathologische Untersuchung der Haut ergab eine vermehrte Vaskularisation hauptsächlich der oberflächlichen und mittleren Dermis (Abbildung 6). Die anderen Organe waren ohne besonderen Befund.     

Im Futter konnten keine erhöhten Gehalte an Mykotoxinen nachgewiesen werden.

Histopathologische Untersuchung der Haut: vermehrte Vaskularisation hauptsächlich der oberflächlichen und mittleren Dermis.

Abbildung 6. Histopathologische Untersuchung der Haut: vermehrte Vaskularisation hauptsächlich der oberflächlichen und mittleren Dermis.

 

Behandlungsmaßnahmen

Im Mai 2014 erhielten alle Sauen einen Tag vor dem Absetzen eine antibiotische Injektion mit Amoxicillin + Clavulansäure gegen die beobachteten E. coli und Streptococcus spp. Infektionen im Reproduktionssystem. Zusätzlich wurden die Sauen/Jungsauen während der ersten Woche nach Einstallung in die Gruppenhaltung mit 400 ppm Amoxicillin über das Futter behandelt. Außerdem erhielten alle betroffenen Sauen Acetylsalicylsäure für 3 Tage über das Futter. Des Weiteren wurde lokal auf die betroffenen Hautbereiche am Hals und Rücken ein kommerziell erhältliches, pflanzliches Mittel mit bitterem Geschmack aufgetragen, das helfen soll, die Aggressionen unter den Sauen zu reduzieren.

Im August 2014 wurde die Impfung gegen IAV und H. parasuis in das Impfschema der Sauen und Jungsauen aufgenommen. Zusätzlich wurden die Sauen in der Eingliederung nun gegen App geimpft. Zwei Monate nach Einführung der zusätzlichen Impfungen gingen die klinischen Symptome (EM, Atemwegsprobleme, usw.) drastisch zurück.

 

Entwicklung und Schlussfolgerung

Stress beeinträchtigt die Immunfunktionen, sodass Infektionen eher bei Schweinen unter Stressbedingungen in der Gruppenhaltung auftreten können. Zusätzlich kann Stress dazu führen, dass eine subklinische Infektion neu aktiviert wird. So könnte es im vorliegenden Fall gewesen sein, dass die besamten Sauen zu einem Zeitpunkt "Stress" ausgesetzt waren, als ihr Immunstatus sehr niedrig war. Die Sauen waren anfälliger für Infektionen und entwickelten daher die Krankheitssymptome. Es ist bekannt, dass eine Neugruppierung von Sauen Stress verursachen und somit das Immunsystem negativ beeinflussen kann. Da EM als Überempfindlichkeitsreaktion in der Regel durch Infektionen oder Krankheiten ausgelöst wird, könnte die mögliche Erklärung für die klinische Manifestation der EM im Fieber (aufgrund von S. suis, H. parasuis und App-Infektionen) und evtl. im Stress (aufgrund der Neugruppierung und Rangordnungskämpfe) liegen. Die Wahrscheinlichkeit einer IAV-Infektion als Erklärungsursache ist eher gering, da eine IAV-Infektion mit Sicherheit auch auf die Sauen in den anderen Produktionsbereichen übertragen und nicht nur im Wartebereich mit Gruppenhaltung aktiv geblieben wäre.

Aktuell treten nach Umsetzung der ersten Bekämpfungsmaßnahmen und Einführung der Impfungen gegen IAV und H. parasuis nur noch sporadisch einzelne Fälle mit geringem Schweregrad auf. Diese Einzelfälle betreffen vor allem Jungsauen nach Besamung und Umstallung in die Gruppenhaltung (>30-35. Trächtigkeitstag). Als Behandlungsprotokoll wurde eine zweimalige Injektion mit Amoxicillin + Clavulansäure und Meloxicam eingeführt. Alternativ sollen die Sauen zweimal mit Amoxicillin + Clavulansäure injeziert werden und erhalten zusätzlich Acetylsalicylsäure für 3 Tage über das Futter.

Zusammenfassend könnte Stress unter Gruppenhaltungsbedingungen einen möglichen Triggerfaktor im vorliegenden Fall gespielt haben. Dadurch könnte eine subklinische Infektion oder eine Interaktion verschiedener Atemwegserreger aktiviert worden sein, die den Gesundheitsstatus und die Reproduktionsleistung des Sauenbestands negativ beeinflusst haben könnte.

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