Professor André Felipe Streck vom Institut für Biotechnologie der Universität von Caxias do Sul in Südbrasilien erörtert die Evolution des PPV und deren Bedeutung für das Management der Schweinegesundheit.
Warum gab es die ursprüngliche Vorstellung, dass PPV ein stabiles Virus ist?
Früher ging man davon aus, dass PPV als DNA-Virus stabiler als andere Viren ist und eine Substitutions- oder Mutationsrate aufweist, die der des Wirts nahe kommt. Das lag daran, dass es die Polymerase des Wirts zur Replikation nutzt und der Polymerasekomplex in tierischen Zellen als Reparaturmechanismus fungiert. Aber aus irgendeinem Grund funktioniert der Reparaturmechanismus im Parvovirus nicht so gut, die Polymerase wirkt eher wie in einem RNA-Virus und fügt viele Mutationen in die DNA-Sequenz ein
War diese genetische Divergenz, die wir heute sehen und deren Wurzeln weit zurückreichen, eine Evolution durch Mutation oder Rekombination?
Mutation treibt diesen Evolutionsprozess des Parvovirus an. Obwohl es sich um ein DNA-Virus handelt, können wir bei PPV von einer sehr hohen Mutations- bzw. Substitutionsrate ausgehen.
Was hat dieser Evolutionsprozess heute in Bezug auf die genetische Variabilität bewirkt?
In den 90er Jahren wurde bei PPV-Stämmen aus Brasilien eine gewisse genetische Variabilität beobachtet, die hauptsächlich Mutationen in der Virushülle oder dem Kapsid beinhaltete und zwei phylogenetischen Gruppen zugeordnet wurde. In der Folge sah man in Studien von Professor Truyen in Deutschland zwei weitere phylogenetische Cluster, in denen zunächst die 27a-Stämme vorherrschten. In anderen Studien fand man danach auch neue Cluster und 27a-ähnliche Stämme in verschiedenen Kontinenten, wie z. B. in China oder in europäischen Ländern, darunter Österreich und Rumänien.
Was ist an dem Stamm 27a, der ursprünglich in Deutschland isoliert wurde, anders? Unterscheidet sich 27a sowohl genetisch als auch antigenisch?
Wir sprechen jetzt von 27a-ähnlichen Stämmen, weil der ursprüngliche 27a-Stamm vielleicht nicht mehr existiert. Sie unterscheiden sich, weil sie einige neue Aminosäuren haben, die sich an einem sehr wichtigen Teil des Kapsids befinden. Wir nennen diese Stellen „Loops“ und das sind genau die Teile, die das Immunsystem stimulieren. Die Veränderungen an einigen Stellen dieser Loops können andere Effekte haben, wie zum Beispiel eine bessere Replikationsaktivität dieser Stämme. Somit sind die 27a-ähnlichen Stämme in der Praxis sehr wichtig.
Sie erwähnen antigene Unterschiede. Ist ein 27a-ähnliches PPV generell virulenter?
Studien von Professor Truyen haben gezeigt, dass der 27a-Stamm im Vergleich zu einem gewöhnlicheren PPV virulenter ist. Wichtig ist, dass sich die Varianten in einigen Fällen besser replizieren können und Antikörper, die gegen einige ältere Stämme entwickelt wurden, eine reduzierte neutralisierende Wirkung gegen diese 27a-Stämme haben.
Wie wird die Effektivität der aktuellen kommerziellen Impfstoffe durch diese neuen Stämme beeinflusst?
Die durch einige alte Impfstämme gebildeten Antikörper werden durch das neue PPV in ihrer neutralisierenden Wirkung reduziert.
Ist diese PPV-Evolution ein internationales Phänomen?
Bislang kommen diese 27a-ähnlichen Stämme vor allem in Europa und Amerika vor. Berichte aus Asien sind im Vergleich dazu Einzelfälle. In einigen asiatischen Ländern wie China beobachten wir das Überwiegen anderer Stämme und eine größere Vielfalt der Stämme. In Europa überwiegt das 27a-ähnliche PPV in Sauenbetrieben, während die Stämme in Wildschweinpopulationen genetisch vielfältiger sind.
Könnte unser Einsatz von etablierten Impfstoffen die Evolution des Parvovirus beeinflusst haben?
Wir sollten für diese neuen Mutanten oder neuen Stämme nicht den Impfstoff verantwortlich machen. Eine frühe Hypothese war, dass das Auftreten neuer Kapsidprofile auf eine virale Anpassung an Impfstoffe zurückzuführen sein könnte. Diese Stämme wurden manchmal als Fluchtmutationen bezeichnet. In unseren Studien konnten wir jedoch sehen, wie ein sehr gut angepasster Stamm es schaffen konnte, sich von anderen Stämmen abzuheben, weil er besser in der Lage war, mit ihnen zu konkurrieren. Die Impfung könnte sogar einen Teil der genetischen Vielfalt reduzieren. Genetische Variabilität tritt normalerweise auf, wenn das Virus etwas mehr Freiheit hat, sich zu replizieren, was nicht der Fall ist, wenn ein Impfstoff zum Einsatz kommt. Die Impfung übt einen starken Selektionsdruck auf die Vorherrschaft bestimmter Stämme aus. Deshalb ist es wichtig, Wildschweinpopulationen zu überwachen, die nicht geimpft werden und daher normalerweise eine höhere genetische Vielfalt des Porzinen Parvovirus und anderer Viren aufweisen.
Begrüßen Sie neue Impfstoffentwicklungen, um dem Auftreten verschiedener dominanter Virusstämme in Schweinepopulationen und deren möglichen Reaktionen auf die herkömmlichen Impfstoffe Rechnung zu tragen?
Die Impfstofftechnologie muss ständig weiter verbessert werden. Wir müssen uns vor Augen halten, dass dieses Virus eine hohe Mutationsrate hat und sich ständig verändern wird. Ich betone auch, wie wichtig es ist, diese Veränderungen insbesondere in Ländern mit großen Schweineproduktionssystemen zu überwachen. Dieser Evolutionsprozess ist geografisch bedingt und deshalb müssen sowohl die Impfstoffhersteller als auch die Schweineproduzenten und Tierärzte darüber Bescheid wissen.