Maternale Immunität
Beim Schwein beginnt die Entwicklung des Immunsystems bereits in der frühen Trächtigkeit: Bei Feten mit 30-40 Tagen zeigen sich B-Zellen bzw. T-Zellen in Milz bzw. Thymus; diese Zellen entwickeln und vermehren sich nach und nach bis zum Ende der Trächtigkeit. Der Fetus ist in der Lage, bei parenteraler oder enteraler Verabreichung von Antigenen eine Immunantwort einzuleiten.
Die epitheliochoriale Plazenta verhindert den Übertritt von sowohl Antikörpern als auch Immunzellen von der Sau auf den Fetus, sodass das Überleben des neugeborenen Ferkels ganz entscheidend von der Aufnahme der in Kolostrum und Muttermilch enthaltenen maternalen Antikörper abhängt.
Kolostrum und Milch haben mehrere Funktionen:
- Sie verleihen systemischen und lokalen Schutz, da die maternalen Antikörper mittels Translokation aus dem Blut der Sau durch das Epithel der Brustdrüse in das von dieser abgegebene Sekret gelangen.
- Transfer der maternalen Immunzellen auf das Neugeborene
- Beeinflussung der Entwicklung der systemischen und mukosalen Immunität des Neugeborenen
- Gehalt an Hormonen, antimikrobiellen Proteinen (AMP), Wachstumsfaktoren
Mit dem Kolostrum werden folgende Zellen und Substanzen auf das neugeborene Ferkel übertragen: Nährstoffe, maternale Antikörper, Immunzellen (phagozytäre Zellen gegen Entzündungszellen, Lymphozyten), Hormone (Prolaktin und Kortisol, die an der Steuerung des Wachstums von intestinalen Epithelzellen beteiligt sind), Wachstumsfaktoren (z.B. TGFb, der sowohl an der Induktion der Immuntoleranz als auch am Antikörper-Switch zur lokalen IgA-Produktion beteiligt ist), antimikrobielle Proteine (Laktoferrin, Defensine, Serum-Amyloid-A).
Nach Aufnahme des Kolostrums gelangen maternale Immunglobuline (IgG, IgM und IgA) dank der Permeabilität der Darmwand über die Enterozyten in den Blutkreislauf. Innerhalb von 24 Stunden tritt IgG (Haupt-Isotyp im Kolostrum) aus dem Sekret der Milchdrüse der Sau in das Blut des neugeborenen Ferkels über und erreicht hier dieselbe Serumkonzentration wie bei der Sau, während IgA nach Übertritt in das Blut im Blutkreislauf zirkuliert und durch Exsudation das Atemwegepithel sowie auch das Darmepithel erreicht.
Der systemische und lokale passive Schutz, der mit dem Kolostrum übertragen wird, beruht hauptsächlich auf den maternalen Antikörpern, und die Mehrheit von kolostralem IgG und IgM stammt aus dem Serum der Sau.
Das Kolostrum enthält auch T- und B-Lymphozyten, die nach der Aufnahme durch das neugeborene Ferkel in dessen Blutstrom gelangen. Es handelt sich dabei um Gedächtniszellen, die in der Lage sind, sich zu vermehren und in Reaktion auf virale und bakterielle Antigene aktiv zu werden und Zytokine zu produzieren. B-Lymphozyten aus dem Kolostrum gelangen in das Darmepithel und in die mesenterialen Lymphknoten und danach vom Blut in andere Gewebe, wo sie einen immunstimulierenden Effekt ausüben. Proliferative Reaktionen kolostraler Zellen auf sogenannte Recall-Antigene konnten nachgewiesen werden, doch wird die Übertragung einer spezifischen zellvermitttelten Immunität über das Kolostrum noch kontrovers diskutiert.
Bis zum Absetzen basiert der Immunschutz gegen lokale Pathogene hauptsächlich auf der über die Muttermilch vermittelten Immunität (laktogene Immunität). Diese ist von der Aktivierung des Immunsystems der Sau an den betreffenden Induktionsstellen und vom Transfer aktivierter B-Zellen in die Milchdrüse mit lokaler Produktion von sekretorischem IgA abhängig. Bei der Sau erfolgt die Aktivierung der Immunantwort im darmassoziierten lymphatischen Gewebe (GALT) mit einer Rezirkulation der Lymphozyten zwischen Darm und Milchdrüse, und im bronchusassoziierten lymphatischen Gewebe (BALT) mit der Rezirkulation der B-Zellen zwischen respiratorischem System und Milchdrüse (Abb. 1).
IgA in der Milch stammt von IgA-Dimeren, die an den Induktionsstellen sezerniert werden und durch Translokation durch das Brustdrüsenepithel in das Mammasekret übergehen, sowie von den an den Induktionsstellen sensibilisierten IgA+-B-Lymphozyten, die vom Blut in die Milchdrüse gelangen, wo sie zu IgA-sezernierenden Zellen werden, die lokal Immunglobulin sezernieren, das in die Milch transportiert wird (Abb.1).
Neonatale Immunität
Bis zum Absetzen ist die Immunität der Ferkel abhängig von:
- der maternalen passiven Immunität
- der angeborenen adaptiven Immunität, die sich im Zeitraum vor und nach dem Absetzen schrittweise entwickelt.
Von der Geburt an bis zum Absetzen wird die Konzentration von CD4+- "naiven" T-Zellen auf einem höheren Niveau gehalten als die der CD8+-T-Zellen, während die CD4+- und CD8+-T-Gedächtniszellen und die zytotoxischen CD8+-Lymphozyten erst nach dem Absetzen ansteigen. Im Gegensatz dazu sind die gamma/delta-T-Lymphozyten in der Zeit vor dem Absetzen in hoher Zahl vorhanden. Die Anzahl der B-Lymphozyten steigt in den ersten vier Lebenswochen an, wobei die Diversität ihres Antikörperrepertoires im Alter von 4 Wochen bereits vollständig abgeschlossen ist.
Abb. 2 enthält eine schematische Darstellung der Faktoren, die die Entwicklung der neonatalen Immunität beeinflussen.
Die Entwicklung der erworbenen Immunabwehr erfolgt langsam, da die Antigenstimulation in der Zeit bis zum Absetzen begrenzt ist, und zwar aufgrund der Interferenz mit maternalen Antikörpern, die, da sie Antigene abblocken, die Entwicklung ("Priming") der antigenspezifischen Immunabwehr beeinflussen. Zudem können Umweltstressoren, Impfungen und Mikrobiom einen positiven oder aber negativen Einfluss auf die quantitative und qualitative Entwicklung der typischen Immunantwort eines Ferkels ausüben.
Eine frühzeitige Exposition der Ferkel gegenüber einer entsprechenden mikrobiellen Flora fördert die gesunde Entwicklung eines effizienten Immunsystems.
Auch das Frühabsetzen ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der erworbenen Immunantwort, da dies eine Lebensphase darstellt, wo physische und psychische Stressoren eine wichtige Rolle spielen, weil sie die Produktion von immunmodulatorischen Hormonen (GH, Kortisol, Prolaktin) verändern und auf verschiedene Art und Weise die Effizienz der Immunantwort auf systemischer und mukosaler Ebene beeinträchtigen.