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Klinischer Fall: Plötzlicher Anstieg der Totgeburtenrate und Saugferkelmortalität

Die Wurfgrößen der letzten und der vorletzten Abferkelgruppe waren signifikant reduziert und die Saugferkel zeigten deutliche Unterschiede in Gewicht, Kondition und Lebensfähigkeit.

Anamnese

Der Besitzer des Sauenbetriebes berichtete von einem deutlichen Anstieg der Saugferkelmortalität bei der vorletzten und letzten Abferkelgruppe. Im Gegensatz zur vorletzten Abferkelgruppe zeigte die aktuelle Gruppe außerdem noch einen Anstieg der Totgeburtenrate.

Totgeborene Ferkel

Die Produktionsdaten von diesem Betrieb in Deutschland sind folgende:

  • Anzahl der Sauen: 250
  • Anzahl abgesetzter Ferkel pro Sau und Jahr: 26,4 (Säugezeit: 24 Tage)
  • Ferkelerzeuger: Verkauf von Läuferschweinen im Alter von 10 Wochen
  • Sauen und Aufzuchtferkel sind in getrennten Gebäuden am selben Standort untergebracht
  • Gruppenabferkelsystem (Zwei-Wochen-Rhythmus)
  • Abferkel- und Aufzuchtabteile: Belegung im Rein-Raus-Verfahren; Deckzentrum und Wartebereich für tragende Sauen werden kontinuierlich belegt
  • Remontierung von Jungsauen immer mit Tieren vom gleichen Vermehrungsbetrieb; Lieferung von 25 Jungsauen viermal im Jahr
  • Jungsaueneingliederung in einem separaten Gebäude für acht Wochen; direkter Nasenkontakt zu aussortierten Schlachtsauen über zehn Tage
  • Fütterung: zwei verschiedene Standardfertigmischungen (für laktierende, tragende Sauen) von einem großen kommerziellen Anbieter
  • Standard-Sauen/Jungsauen-Impfschema innerhalb der letzten fünf Jahre:
    • Impfung der gesamten Sauenherde gegen:
      • Parvovirus und Rotlauf (Totimpfstoff) im 4., 8. und 12. Monat
      • Influenza (Totimpfstoff gegen die Subtypen H1N1, H1N2, H3N2) im 3., 7. und 11. Monat
      • PRRS (attenuierter Lebendimpfstoff) im 2., 6. und 10. Monat
    • Jungsauenimpfung während der Eingliederungsphase (8 Wochen) gegen:
      • Parvovirus und Rotlauf (Totimpfstoff) in der 2. und 6. Woche
      • Influenza (Totimpfstoff gegen die Subtypen H1N1, H1N2, H3N2) in der 3. und 7. Woche
      • PRRS (attenuierter Lebendimpfstoff) in der 1. Woch
    • Tragende Sauen werden geimpft gegen:
      • E. coli (Totimpfstoff) 3 Wochen vor der Abferkelung
    • Tragende, Jungsauen werden geimpft gegen:
      • E. coli (Totimpfstoff) 6 und 3 Wochen vor der Abferkelung

Klinische Erscheinungen und Reproduktionsdaten

Die Sauenherde wurde zu einem Zeitpunkt untersucht, als alle Sauen der aktuellen Gruppe abgeferkelt hatten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Saugferkel zwischen 2 und 6 Tage alt. 3 von 24 Sauen dieser Abferkelgruppe zeigten eitrigen Vaginalausfluss und wurden bereits mit Antibiotika und Analgetika behandelt, da sie zudem Fieber (> 40,5°C) zeigten und ihre Futteraufnahme erheblich reduziert war. Die anderen Sauen aus dem Abferkelabteil und der Rest der Sauen zeigten keine Krankheitsanzeichen. Der Landwirt berichtete außerdem, dass er in den letzten Wochen keine auffälligen Symptome beobachtet hatte.
Die Wurfgrößen der letzten und der vorletzten Abferkelgruppe waren merklich reduziert und die Saugferkel zeigten deutliche Unterschiede in Gewicht, Kondition und Lebensfähigkeit. Einige Würfe aus der letzten Gruppe hatten zudem Diarrhoe (gelblicher, wässriger Kot), was normalerweise kein Problem in diesem Bestand darstellt. Die Auswertung der Reproduktionsdaten der vorletzten und letzten Abferkelgruppe lieferte die folgenden Ergebnisse:

aktuelle Gruppe (24 Sauen, Würfe 2-6 Tage alt) Vorherige Gruppe (26 Sauen, Würfe 16-22 Tage alt) 3 Gruppen bevor das Problem auftrat (73 Sauen, Würfe abgesetzt)
Wurfgröße (n) 13,4 13,1 13,2
Totgeburten (%) 9,2 4,8 4,9
Saugferkel-verluste (%) 17,8 * 16,7 * 12,4 **

* Mortalität bis zum Untersuchungstag, ** bis zum Absetzen

Die Durchschnittsdauer der Trächtigkeiten lag bei 114,8 Tagen mit zwei Aborten (am 45. und 60. Trächtigkeitstag) während der letzten 2 Monate.

Labordiagnosen - erster Ansatz

Bei einer ersten Untersuchung wurden Zervixtupferproben von 2 der 3 Sauen mit purulentem Vaginalausfluss, Rektaltupferproben von 3 Saugferkeln mit Diarrhoe und Blutproben von 8 Sauen mit betroffenen Würfen genommen.
E. coli wurde von den Zervixtupfern mit Standardkulturmethoden isoliert. Außerdem wurde E. coli aus den Rektaltupfern nachgewiesen, die von den Saugferkeln genommen worden waren.
Die Blutproben (Serum) wurden auf verschiedene Antikörper getestet und mithilfe einer real-time PCR auf Genomfragmente von PRRSV und PCV2 untersucht:

Erreger Test Anzahl der positiv getesteten Proben (von 8)
PRRSV ELISA 7
SIV ELISA 6
Parvovirus ELISA 8
Leptospiren Mikroagglutination 4
PCV2 Real-time PCR 1
PRRSV Real-time PCR 0

Die Auswertung der Laboruntersuchungen lieferte keine Ergebnisse, die eine eindeutige Diagnose rechtfertigen würden. Infektionenmit pathogenen E. coli verursachen Diarrhoe und auch das Postpartale Dysgalaktie-Syndrom, welches aber nur in einigen der betroffenen Würfe festgestellt wurde. Beide Erkrankungen können zu einer erhöhten Saugferkelmortalität führen, allerdings nicht zu einer erhöhten Totgeburtenrate führen.
Der Nachweis von Antikörpern gegen PRRSV, SIV und Parvovirus war nicht auswertbar, da die Sauenherde regelmäßig gegen diese drei Viren geimpft wurde. Es ist bekannt, dass Impfungen gegen diese drei Erreger zur Produktion hoher Antikörperspiegel führen können. Deshalb bleibt es reine Spekulation, ob die Antikörper gegen PRRSV, SIV und Parvovirus durch die Impfung induziert wurden oder ob sie von einer kürzlich erfolgten Infektion stammen, welche die beschriebene Krankheit ausgelöst haben könnte.

Labordiagnosen - zweiter Ansatz

Der Bestandstierarzt konnte auf Grundlage der klinischen und labordiagnostischen Befunde keine Diagnose stellen. Als die folgende Sauengruppe, die in der Zwischenzeit abgeferkelt hatte, auch von dem gleichen Problem mit einem Anstieg des Schweregrades der Symptome betroffen war, besprach er den Fall mit einem Kollegen von der Tierärztlichen Hochschule. Aus dieser Diskussion wurde geschlussfolgert, dass die klinischen Anzeichen besonders für eine PRRSV-Infektion sprechen, während die anderen Infektionen weniger wahrscheinlich sind. Ein Einfluss von SIV auf die Zahl der Totgeburten und auf die Saugferkelmortalität wäre wahrscheinlich gewesen, wenn die Sauen die typischen klinischen Symptome, insbesondere Fieber, gezeigt hätten. Im Fall von Parvovirus-Infektionen würden nicht nur totgeborene und lebensschwache Ferkel sondern auch Mumien in unterschiedlichen Größen zu beobachten gewesen. Leptospireninfektionen können unter Umständen zu Aborten führen; allerdings ist eine Erkrankung, welche auf die erwähnten Symptome begrenzt ist, als Ursache für ein Herdenproblem nicht wahrscheinlich (gilt auch für PCV2).
Die Entscheidung PRRS ganz nach oben auf die Liste der Verdachtsdiagnosen zu setzen, basiert auf dem Wissen, dass ein plötzlicher und deutlicher Anstieg der Totgeburtenrate und der Saugferkelmortalität sehr für einen klassischen PRRS-Ausbruch spricht, wohingegen Spätaborte nicht unbedingt in jedem Bestand gesehen werden. Es ist bekannt, dass klassische PRRS-Ausbrüche nicht nur in naiven Sauenherden auftreten, sondern auch in regelmäßig geimpften Sauenbeständen sporadisch vorkommen. Außerdem weiß man, dass die Dauer der Virämie bei adulten Schweinen (Sauen) nicht so lange andauert wie die bei jungen Schweinen. Bei Sauen mit einer Teilimmunität kann die Virämie nur ein paar Tage dauern, was dazu führt, dass die Chance sehr gering ist, bei diesen Sauen das PRRS-Virus im Serum mithilfe der PCR nachzuweisen. Deshalb wird empfohlen, für die Diagnostik der reproduktiven Form von PRRS Proben von neugeborenen Saugferkeln bis zu einem Alter von 5 Tagen zu nehmen. Da bekannt ist, dass die intrauterine PRRSV-Infektion zu einer Virämie führt, die bei den Ferkeln mehrere Wochen andauern kann, stellt das Blutserum dieser Tiere das Probenmaterial der Wahl dar. Wenn man in Betracht zieht, dass nicht zwangsläufig alle Ferkel des gesamten Wurfes mit PRRSV infiziert sind, ist ein angemessener Stichprobenumfang erforderlich. Der Stichprobenumfang bestand im vorleigenden Fall aus Blutseren, die von 18 Ferkeln aus 6 Würfen (3 Ferkel/Wurf) genommen wurden. Die Seren von Ferkeln aus demselben Wurf wurden jeweils zu einer Poolprobe zusammengefasst. Diese Proben wurden mit einer real time (RT) PCR untersucht.

Poolprobe Real time (RT) PCR
1 Positiv*
2 Positiv
3 Positiv
4 Negativ
5 Positiv*
6 Negativ

* Das Isolat wurde durch Sequenzierung als EU-Wildtyp-Virus identifiziert (86% übereinstimmend mit dem Lelystad Virus)

Diagnose

Die klinischen Symptome und die letzten PCR Ergebnisse bestätigten die Diagnose: "akuter PRRS-Ausbruch".

Schlussfolgerung

  • Ein plötzlicher Anstieg der Totgeburtenrate und der Saugferkelmortalität spricht sehr für eine PRRSV-Infektion. Klinische Symptome (Fieber, Rückgang der Futteraufnahme, respiratorische Symptome) fehlen häufig bei den Sauen.
  • Zu einem sehr frühen Zeitpunkt des Ausbruchs ist die Zahl der Totgeburten manchmal noch nicht erhöht. Wenn die Infektion der Sauen und die intrauterine Infektion der Feten erst einige Tage vor dem Abferkeln stattfindet, kann die Zahl der Totgeburten zunächst unverändert sein.
  • Die regelmäßige Impfung der Sauenherde gegen PRRSV rechtfertigt den Ausschluss dieser Erkrankung von der Liste der (Differential-)Diagnosen nicht.
  • Durch die sehr begrenzte Dauer der Virämie bei adulten Tieren und besonders bei (teil)immunen Sauen ist die Beprobung dieser Altersgruppe für den PCR-Nachweis des Virus nicht geeignet.
  • Die Probe der Wahl für den PCR-Nachweis des PRRS-Virus ist hier Blutserum von neugeborenen Ferkeln, da die Virämie bei intrauterin oder neonatal PRRSV-infizierten Schweinen mehrere Wochen andauert.
  • Der Stichprobenumfang muss groß genug sein, um geringe Prävalenzen von infizierten Schweinen nachzuweisen, zumal die Anzahl infizierter Saugferkel überaus unterschiedlich sein kann (ein Ferkel bis alle Ferkel aus einem Wurf können betroffen sein). Nach unserer Erfahrung ist die Probenentnahme von jeweils 3 Ferkeln aus 5 bis 6 Würfen ein angemessener Stichprobenumfang. Das Poolen der Blutseren von den 3 Ferkeln desselben Wurfes kann dabei helfen, die Diagnostikkosten zu senken.

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