In den Betrieben werden die Sauen in der Regel mit konventionellem Futter gefüttert, dessen Zusammensetzung auf dem durchschnittlichen Energie- und Nährstoffbedarf des Bestands (also des Bedarfs an Aminosäuren und Mineralien) beruht. Es gibt jedoch große Unterschiede zwischen den Sauen, was ihren Nährstoffbedarf und ihre sich daraus ergebende produktive Leistung angeht, auch wenn sie sich im gleichen physiologischen Stadium befinden. Bei einer konventionellen Fütterung kommt es daher zu unter- oder überversorgten Sauen, was zu Fortpflanzungsproblemen, zusätzlichen Futterkosten und Umweltbelastungen führen kann. Es muss ermittelt werden, ob die Berücksichtigung des individuellen Nährstoffbedarfs und seiner zeitlichen Schwankungen die Leistung der Sauen verbessert. Diese neue Fütterungsstrategie, die als „Präzisionsfütterung“ oder „Fütterung nach Maß“ bezeichnet wird, zielt darauf ab, dem richtigen Tier zum richtigen Zeitpunkt eine in Bezug auf Menge und Zusammensetzung optimale Futterration zur Verfügung zu stellen.
Ernährungsmodelle und neue Technologien (Sensoren, Automaten, z. B. Futterautomaten, s. Bild 1) bieten die Möglichkeit, die individuelle Variabilität zu messen und in Modelle zu integrieren, die den Nährstoffbedarf abschätzen können. Am französischen Nationalen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (INRAE) wurden auf der Grundlage des InraPorc-Modells (Dourmad, 2008) und automatischer Fütterungsanlagen zwei Python-Tools zur Entscheidungshilfe entwickelt (Gaillard et al., 2019; Gauthier et al., 2019). Das eine kann für die trächtigen Sauen und das andere für die säugenden Sauen verwendet werden. In beiden Fällen wird die optimale Energie- und Nährstoffzufuhr jeden Tag für jede Sau berechnet, wobei die im Betrieb verfügbaren Informationen berücksichtigt werden: Sauenrasse, Alter, Wurfgröße, Körperzustand bei der Besamung und Ziele beim Abferkeln (Körpergewicht und Rückenspeckdicke). Historische Daten des Betriebs werden auch zur Vorhersage anderer Parameter verwendet, die das Modell benötigt (z. B. Wurfgröße und -gewicht, angestrebtes Körpergewicht der Sau am Ende der Tragzeit). Auf der Grundlage der Bedarfsermittlungen werden die optimale Futtermenge und -zusammensetzung für jeden Tag und für jede Sau berechnet und diese Informationen an den Futterautomaten übermittelt.
Der Ansatz wurde in der Versuchsabteilung für Physiologie und Phänotypisierung von Schweinen (UE3P) des Nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (INRAE) für die beiden vorgenannten Studien und in einem kanadischen landwirtschaftlichen Betrieb für die dritte Studie getestet. Jeder Laktations- bzw. Wartestall für trächtige Sauen war mit Futterautomaten ausgestattet, die zwei Futtermittel mischen, die einzelnen Futterrationen ausgeben und die individuelle Futteraufnahme erfassen konnten. Der Futtergehalt und die Anzahl der gekreuzten Landrasse x Large-White-Sauen sind in Tabelle 1 beschrieben. Bei jedem Versuch erhielt die Hälfte der Sauen während der gesamten physiologischen Phase (Tragzeit oder Laktation) ein konventionelles Futter und die andere Hälfte ein Präzisionsfutter. Bei der Strategie der Präzisionsfütterung wurde die Futterration durch tägliches Mischen eines Futters mit hohem Nährstoffgehalt und eines Futters mit niedrigem Nährstoffgehalt für jede Sau zusammengestellt, um den Bedarf der Sau zu decken. Bei der konventionellen Fütterungsstrategie erhielt man die Futterration für alle Sauen und Tage durch Mischen dieser beiden Futtermittel in einem bestimmten Verhältnis.
Tabelle 1: Anzahl der Sauen und Zusammensetzung des Futters, das man für die Futterrationen in drei verschiedenen Versuchen verwendete, bei denen die Bedeutung der Strategie der Präzisionsfütterung bewertet wurde (Gaillard et al., 2022; Gauthier et al., 2021 und 2022)
Trächtige Sauen | Säugende Sauen | ||
---|---|---|---|
Ort des Experiments | Frankreich | Frankreich | Kanada |
Anzahl der Sauen | 131 | 62 | 479 |
Futter mit hohem Nährstoffgehalt (H-Futter) | |||
Metabolische Energie, MJ /kg | 13,0 | 13,0 | 13,5 |
Verdrauliches Lysin, g/kg | 8,50 | 10,6 | 13,0 |
Verdraulicher Phosphor, g/kg | 3,27 | 3,78 | 4,50 |
Futter mit niedrigem Nährstoffgehalt (N-Futter) | |||
Metabolische Energie, MJ /kg | 12,7 | 12,8 | 13,2 |
Verdrauliches Lysin, g/kg | 3,30 | 4,70 | 6,50 |
Verdraulicher Phosphor, g/kg | 2,31 | 2,47 | 2,90 |
Konventionelle Fütterungsstrategie | |||
Verdrauliches Lysin, g/kg | 4,70 | 8,60 | 10,1 |
Verdraulicher Phosphor, g/kg | 2,57 | 3,33 | 3,78 |
Bei trächtigen Sauen zeigen die Ergebnisse, dass sich die Präzisionsfütterung die Proteinaufnahme um ca. 23 % reduzierte, ohne dass die ausgegebene Futtermenge verringert wurde. Außerdem reduzierten sich die Stickstoffausscheidung um 18 %, die Phosphorausscheidung um 9 % und die Futterkosten um 4 % (d. h. 3,4 € pro Tragzeit oder 8 € pro Tonne Futter) im Vergleich zu einer herkömmlichen Fütterungsstrategie (Gaillard et al., 2022). Die Reproduktionsleistung wurde durch die Fütterungsstrategie nicht beeinträchtigt.
Bei den säugenden Sauen in UE3P reduzierte die Präzisionsfütterung die Lysinaufnahme um 14 %, die Futterkosten um 2,5 % pro Laktation und die Stickstoff- und Phosphorausscheidung um 19 % bzw. 13 %, ohne die Reproduktionsleistung zu beeinträchtigen (Gauthier et al., 2021).
In dem kanadischen Betrieb reduzierte die Präzisionsfütterung die Lysinaufnahme um 23 %, die Futterkosten um 12 % pro Laktation und die Stickstoff- und Phosphorausscheidung um 28 % bzw. 42 % (Gauthier et al., 2022). Bei der Präzisionsfütterung verringerte sich das Wurfwachstum geringfügig um etwa 3 % und der Körpergewichtsverlust der Sauen war etwas höher (7,7 gegenüber 2,1 kg), was auf eine unzureichende Aminosäurenversorgung einiger Sauen zurückzuführen sein könnte.
Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer Präzisionsfütterung für Sauen während der Tragzeit und Laktation sowie der Verwendung historischer und betriebsbezogener Daten zur Abstimmung des Fütterungsmodells. Der nächste Schritt ist die Umsetzung der Präzisionsfütterung in kommerziellen Betrieben. Es wird auch wichtig sein, die Ermittlung des Nährstoffbedarfs zu verbessern, indem beispielsweise die körperliche Aktivität der Sauen berücksichtigt wird, da sie sich auf den Energiebedarf auswirkt. Überdies basiert diese Strategie der Präzisionsfütterung bislang auf dem Energie- und Lysinbedarf, sollte aber auch Mineralien und Ballaststoffe berücksichtigen, was eine Verbesserung der Konstruktion der Futterautomaten erfordert.