Um die europäischen Rechtsvorschriften zum Tierschutz für Schweine (2008/120/EG) einzuhalten, beschloss ein Multisite-Betrieb in Italien, in dem 1200 Sauen in Massentierhaltung mit einem Abferkelsystem im 3-Wochen-Rhythmus gehalten werden, das Kupieren aller Tiere, die für die Endmast bestimmt waren (Schlachtgewicht von fast 170 kg), zu beenden. Die Phase, in der sich aus dieser Entscheidung die meisten Managementprobleme ergaben, war die Aufzucht, die an einem Ort erfolgte, der von den Sauen und Mastschweinen getrennt war. Der entsprechende Stall hat Eigenschaften, die bei anderen herkömmlichen Aufzuchtställen häufig anzutreffen sind: Er ist mit einem Spaltenboden aus Kunststoff (entsprechend den Verordnungen) ausgestattet und verfügt über Buchten für fast 60 Tiere, Fremdbelüftung und Trockenfütterung ad libitum. In jeder Partie gibt es fast 1800 7 kg schwere Ferkel und produziert wird im Rein-Raus-Verfahren. Die pro Tier zur Verfügung stehende Fläche richtet sich nach den gesetzlichen Bestimmungen, wobei die Umstallung in den Maststall bei einem Gewicht von 30 kg erfolgt (s. Tab. 1).
Tabelle 1: Zusammenfassung der verfügbaren freien Flächen für jedes Schwein während des Absetzens und der Mast nach den europäischen Rechtsvorschriften (2008/120/EG)
Zulässige Mindestfläche | Gewichtsgruppe |
0.15 m2 | <10 kg |
0.20 m2 | 10 - 20 kg |
0.30 m2 | 20 - 30 kg |
0.40 m2 | 30 - 50 kg |
Die durchschnittliche Sterblichkeitsrate des Betriebs lag bei 3,5 % und die Tiere wurden in der Laktationsperiode planmäßig gegen Mykoplasma und PCV2 geimpft. Anschließend wurden sie gemäß den nationalen Vorschriften gegen die Aujeszky-Krankheit geimpft.
Obwohl den Tieren zur Verhaltensanreicherung bereits Ketten und Kunststoffobjekte auf dem Boden zur Verfügung standen, wurde ein neues Element hinzugefügt, als man die Entscheidung traf, mit dem Kupieren aufzuhören: An mindestens zwei Stellen pro Bucht hängte man Metallketten mit Kunststoffscheiben und Holzklötzen von der Decke, so dass möglichst viele Tiere Zugang zu ihnen hatten. Die Kette und die Holzklötze reichten bis zum Boden, so dass sie zugänglich waren, aber nicht schmutzig wurden.
Beginn des Schwanzbeißens und Folgen für die Produktion
Das Schwanzbeißen begann bereits in der ersten Partie der nicht kupierten Tiere mit einem Körpergewicht von etwa 15 kg. Das Problem blieb bestehen und eskalierte, bis die Tiere in die Mastställe verlegt wurden, wo es nach kurzer Zeit verschwand. Zu Beginn wurde eine rasche Zunahme der Schwanzläsionen festgestellt, bis eine Prävalenz von fast 30 % der Tiere erreicht wurde, die schwere Verletzungen mit Blut und Schorf und augenfällige Infektionen aufwiesen und in vielen Fällen den Verlust einer großen Menge Gewebe erlitten hatten, der zu einer Verringerung der Schwanzlänge führte (Abb. 1).
Die Verbreitung des Schwanzbeißens schien völlig zufällig in den verschiedenen Ställen und Buchten aufzutreten. Sehr häufig trat das Problem sehr stark in einer von zwei benachbarten und scheinbar identischen Buchten desselben Stalls auf, während die andere Bucht nicht davon betroffen war. Eine erste Analyse ergab, dass die Produktionsparameter (Sterblichkeit, Gewichtszunahme, Ertrag) beim Absetzen nicht durch das Schwanzbeißen beeinträchtigt wurden. Man stellte lediglich eine leichte Erhöhung der Kosten in Verbindung mit der antibiotischen Behandlung fest, die zwangsläufig mit den auftretenden Verletzungen zusammenhing. Aber obwohl das Problem durch die Verlegung der Tiere aus dem Aufzucht- in den Maststall vollständig gelöst wurde, verzeichnete man die offensichtlichsten Verluste dennoch in der Mastphase. Die durchschnittliche Sterblichkeitsrate stieg insbesondere um 2,5 % aufgrund der Tiere, die Anzeichen von Myelitis und entlang der Wirbelsäule aufsteigenden Infektionen zeigten, was ihre Mobilität teilweise oder völlig beeinträchtigte, obwohl der Höhepunkt des Schwanzbeißens mehrere Wochen zuvor stattgefunden hatte. Sowohl die Tiere, die (aufgrund dieser eingeschränkten Mobilität) nicht auf den LKW geladen werden konnten, der zum Schlachthof fuhr, als auch diejenigen, die keine offensichtlichen Anzeichen aufwiesen, hatten Abszesse an der Wirbelsäule, die dazu führten, dass große Teile der Schlachtkörper nicht verwendet werden konnten (Abb. 2).
Identifizierung der Ursache
Das Schwanzbeißen ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, was den Tierhalter dazu veranlasste, den Ursprung des Phänomens einer Stresssituation zuzuschreiben, die potentiell durch mehrere Ursachen verursacht wurde. Auf Grundlage der Leitlinien der Europäischen Gemeinschaft des Berichts der EFSA 2007 (The risks associated with tail biting in pigs and possible means to reduce the need for tail docking considering the different housing and husbandry systems) wurden die im Betrieb vorhandenen Risikofaktoren analysiert, welche die Hauptursache des Schwanzbeißens sein könnten. Die fünf wichtigsten Ursachen sind unten aufgeführt (die umfassende Liste finden Sie im Bericht der EFSA 2007).
1. Qualität der Luft und der Mikroumgebung
Die Wechselwirkung zwischen dem Beginn des Schwanzbeißens und den Parametern der Luft und der Mikroumgebung ist komplex, da auch Faktoren wie die Saisonabhängigkeit und das Klima zu berücksichtigen sind. Allerdings kann man vereinfachend die Bedeutung der korrekten Geschwindigkeit und Richtung des Luftstroms im Stall hervorheben. Tatsächlich können Luftströme, die unabsichtlich auf die Tiere gerichtet sind, zu erhöhter Unruhe führen, auch wenn sie fast nicht wahrnehmbar sind (> 0,2 m/s). Zur gleichen Zeit muss jedoch eine ausreichende Belüftung stattfinden, um den Luftaustausch und die Sauerstoffzufuhr zu gewährleisten. Im Fall des Betriebs erfolgte eine Überprüfung des Luftstroms unter Verwendung eines Rauchtests und die schädlichen Gase (CO2 und Ammoniak) wurden quantitativ bestimmt, ohne dass Unstimmigkeiten festgestellt wurden.
2. Wettbewerb um Ressourcen
Der unzureichende Zugang zu Ressourcen, insbesondere zu Futter, ist ein sehr wichtiger Stressfaktor innerhalb einer Gruppe von Tieren. Wenn es nicht genügend Platz an den Futterautomaten gibt, haben nur die größten oder dominierenden Tiere Zugang zu ihnen, was bei den untergeordneten Tieren zu Missmut führt. Es ist kein Zufall, dass die Tiere, die beißen und die anderen Tiere der Bucht am Futterautomaten angreifen, die kleinsten der Gruppe sind. Dies war in dem betreffenden Betrieb allerdings kein Risikofaktor (Tab. 2).
Tabelle 2: Referenzparameter für den Zugang zu Ressourcen (aus Managing Pig Health, 2nd edition)
Wasser | ||
Art der Tränke | Ad-Libitum-Fütterung | |
Tränkenippel | 1:10 | 1:15 |
Napf | 1:20 | 1:30 |
Futter | ||
Gewicht des Schweins | Rationierte Fütterung | Ad-Libitum-Fütterung |
5 | 100 mm | 75 mm |
10 | 130 mm | 33 mm |
15 | 150 mm | 38 mm |
35 | 200 mm | 50 mm |
3. Belegungsdichte
Dies ist vielleicht einer der wichtigsten Parameter, um dem Schwanzbeißen richtig vorzubeugen. Es ist offensichtlich, dass das Risiko des Schwanzbeißens umso geringer ist, je mehr Platz die Tiere haben. Allerdings hat die Verringerung der Belegungsdichten auch sehr große wirtschaftliche Auswirkungen, da auf der gleichen Fläche und mit den gleichen Fixkosten weniger Schweine produziert werden. Die Belegungsdichte dieses Betriebs bewegte sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen (Tab. 1). Bei einer genaueren Analyse stellte sich jedoch heraus, dass es häufig Verzögerungen bei der Verlegung der Tiere in den Maststall gab, wobei daher fast immer eine Belegungsdichte von 0,30 m2/Tier erreicht wurde und sogar Tiere untergebracht waren, deren Gewicht über dem empfohlenen Wert (20-30 kg) lag. Nachdem das Problem identifiziert worden war, wurden die Umstallungen der folgenden Partien sorgfältiger geplant.
4. Verhaltensanreicherung
Dies ist ein so wichtiger Aspekt, dass er 2016 zur Erstellung eines zweiten Berichts der EFSA führte (Best practices with a view to the prevention of routine tail-docking and the provision of enrichment materials to pigs). Klötze mit Ketten gelten als ungeeignet für Schweine, weil sie nur teilweise essbar sind und kein Erkundungsverhalten fördern (Schweine können ihr natürliches Wühlverhalten nicht ausleben). Daher beschloss man, Stroh in einer Metallraufe zur Verfügung zu stellen, die an der Wand befestigt oder in der Mitte der Bucht aufgestellt wurde. Um die Gefahr des Verstopfens des Spaltenbodens oder der Güllegrube zu reduzieren und um sicherzustellen, dass sich die Tiere mit dem Stroh, das auf den Boden fiel, beschäftigen konnten, wurde eine Matte unter dieser Strohraufe angebracht (Abb. 3).
5. Umgang mit problematischen Tieren
Die Schulung der Mitarbeiter ist unerlässlich. Es ist sehr wichtig, Schwanzbeißen so früh wie möglich erkennen zu lernen, um das beißende Tier vom Rest der Gruppe zu isolieren. Dieses Verhalten beginnt normalerweise mit einem nervöseren Tier, das damit anfängt, die anderen Tiere anzugreifen. Wenn dieses Tier sofort unterbrochen wird, löst sich das Problem oft von allein. Wenn dagegen die Anzahl und Schwere der Läsionen zunimmt, fangen andere Tiere an zu beißen, entweder weil sie vom Blut an den Schwänzen angezogen werden oder weil sie das Verhalten der gleichaltrigen Gruppenmitglieder kopieren. Die Mitarbeiter werden daher bei der Prävention noch wichtiger und müssen die Schweine sehr sorgfältig überwachen. Der Betrieb hat deshalb ein kontinuierliches Schulungsprogramm gestartet.
Situation nach zwei Jahren
Tiere mit unversehrten Schwänzen in einem konventionellen Betrieb zu halten ist nicht einfach! Es ist jedoch nicht unmöglich. Dank der Berücksichtigung der Verhaltensanreicherung und ihres angemessenen Managements trotz des Spaltenbodens, größerer Sorgfalt, um die Überschreitung der Grenzen der Belegungsdichte zu vermeiden, und der ständigen Schulung des Personals erreichte man ein gutes Gleichgewicht zwischen der Produktivität und dem Tierwohl, auch wenn es sich um größere Tiere handelte (170 kg).